Renaissance der Atomenergie?
"Deutschland mag den Ausstieg aus der Atomkraft vollzogen haben, steht mit dieser Entscheidung in Europa aber weitgehend allein da", schreibt Tobias Kaiser am 21.07.2025 in einem Online-Beitrag der Welt. "Länder wie Ungarn, die bisher schon auf Atomkraft setzen, bauen neue Reaktoren, andere Länder steigen zum ersten Mal in die Atomkraft ein oder denken darüber nach, und anderswo drehen Regierungen den Atomausstieg wieder zurück. Die Kernkraft erlebt derzeit weltweit eine Renaissance, besonders sichtbar ist die Entwicklung aber in Europa, wo sie in vielen Ländern lange als eine gefährliche und teure Technologie auf dem Abstellgleis galt." In gleichem Tenor: "Polen steigt gerade erst in die Atomkraft ein. Dort wird seit einigen Jahren das erste AKW mit US-Technik gebaut." Und zu Frankreich: Das Land "plant derzeit sechs neue Reaktoren an bestehenden Standorten" und "Tschechien, Rumänien und Bulgarien wollen mit jeweils zwei neuen Reaktoren ihre Kapazitäten erweitern."
Man fragt sich, wie ein Autor zu einer derartigen Einschätzung kommen kann. zumal sie mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat. An dieser Stelle eine Erwiderung:
- Zu Polen: Polen ist bislang nicht in den Atomsektor eingestiegen. Es ist richtig, dass die Regierung den Bai von zwei AKWs in Erwägung zieht. Ein möglicher Baubeginn wurde bereits auf das Jahr 2028 verschoben. Alles weitere wird sich zeigen. Und an der Stelle zur Erinnerung: Es gibt eine Vielzahl möglicher AKW-Projekte, die bereits vor Baubeginn abgebrochen wurden. Zumeist weil die Kosten eine unüberwindliche Hürde darstellten.
- Zu Frankreich: Ja, Frankreich hat mit seiner AKW-Flotte ein großes Problem. Das Land hat 57 Atom-Meiler in Betrieb, Flamanville 3 ging im Dezember 2024 ans Netz – mit einer Verzögerung von 15 Jahren und nach Angaben des Französischen Rechnungshofs mit Baukosten von 23,7 Mrd. Euro. Ursprünglich geplant: 3 Mrd. Euro! Vor diesem Reaktor gab es lange nichts: Civeaux 2, als zweitjüngstes AKW ging 1999 ans Netz, der kommerzielle Betrieb startete 2002. Anders ausgedrückt: das Durchschnittsalter der französischen AKW liegt bei 38,9 Jahren. Die bisherigen Reaktoren sind auf eine Laufzeit von 40 Jahren ausgelegt, etliche der französischen Reaktoren sind bereits deutlich älter. Die staatliche EdF als Betreiberin hat nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters gerade erst mitgeteilt, dass die Sicherheitsvorkehrungen von 20 älteren AKW modernisiert werden, um sie länger betreiben zu können. Kosten: 6 Mrd. Euro.
Frankreich hat derzeit keine Energie-Alternative zu Atomkraft, deshalb hat Präsident Macron tatsächlich den Bau von 6 neuen AKW angekündigt. Aber Flamanville ist finanziell und zeitlich derart aus dem Ruder gelaufen, dass die EdF jetzt eine verbindliche Kostenkalkulation für die möglichen neuen Reaktoren vorlegen soll. Das hat sie aber bisher nicht getan. Deshalb hat die Regierung die bereits angekündigte Fertigstellung der noch nicht einmal im Bau befindlichen Reaktoren bereits um 3 Jahre nach hinten verschoben. Der nächste EPR-Reaktor soll frühestens 2038 ans Netz gehen und nicht wie angekündigt 2035. Und auch hier zur Erinnerung: der EPR Flamanville 3 sollte ursprünglich 2012 fertiggestellt sein. Verzögerung: 12 Jahre. Eine Renaissance sieht anders aus!
- Tschechien, Rumänien und Bulgarien: Auch hier bestimmen Ankündigungen das Tagesgeschehen. In keinem der drei Länder wird bisher gebaut. Und jedes Land wird sich genau überlegen, ob es das finanzielle Risiko eines finanziellen Atomdebakels eingeht. Oder vielleicht dem Beispiel der Türkei folgt: dort baut der russische Staatskonzern Rosatom am Standort Akkuyu 4 Meiler – und hat sich dabei vertraglich verpflichtet, Rosatom für die Hälfte des eingespeisten Atomstroms 12,35 $-Cent/Kilowattstunde zu bezahlen, die andere Hälfte nach Marktpreis zu vergüten, was wesentlich günstiger ist, denn in der Türkei liegen die Kosten für Erneuerbare Energien deutlich darunter.
- „Sogenannte Small Modular Reactors (SMRs) arbeiten wie herkömmliche AKWs, sind aber weit kleiner,“ schreibt Welt-Autor Kaiser „Sie können in einer Fabrik vorgefertigt, montiert und dann gebrauchsfertig zum Standort transportiert werden. Das reduziert Bauzeit, Komplexität und macht sie billiger.“ Das liest sich erst mal so, dass die kleinen Dinger kurz davor stehen, überall auf der Welt aufgestellt zu werden. Dementsprechend werden dann auch gleich Lettland, Estland und Litauen, Italien, Kroatien und Dänemark als Länder genannt, die darüber nachdenken sollen, demnächst einen SMR hinzustellen. Wie unsereins ein Gartenhäuschen.
Fakt ist: es gibt kein einziges SMR-Projekt auf der Welt, das derzeit im Bau ist, obwohl die gesamte AKW-Branche und alle AKW-Befürworter seit Jahren davon reden. Und es gibt nirgendwo eine Fabrik, in der SMR-Reaktoren quasi serienmäßig vom Band laufen. Die SMR-Wirklichkeit sieht ungefähr so aus: in Idaho/USA wollte Nuscale sechs SMR bauen. Das Projekt war ursprünglich auf 5,3 Mrd. $ geplant. Doch noch vor Baubeginn sind die kalkulierten Kosten auf 9,3 Mrd. $ gestiegen. Nuscale hat das Projekt daraufhin im November 2023 einfach gecancelt. Die Wirtschaftswoche kommentierte mit Blick auf diejenigen, die in die SMR-Technologie investieren wollen: „Nun müssen sich auch andere Staaten fragen, ob sie statt Uran nur Steuergelder verbrennen.“ Hier der Link zu dem Beitrag.
Nein! Es gibt keine Renaissance der Atomenergie, auch wenn dies deren Befürworter immer wieder so darstellen. Und die Atomkraftwerke, die derzeit in Betrieb sind, hängen am Tropf von Russland. 40 Prozent der weltweit genutzten Brennelemente werden vom russischen Staatskonzern Rosatom produziert. Mit Atomkraft sorgt Russland für geopolitisch für Abhängigkeiten.